Die GLOCKE, Beckum 13 Oct 1967

Transcribed by ZR, 21 Mar 2007

 

100 Jahre Synagoge auf der Nordstraße

Jetzt Abbruch eines längst verfallenen und zweckentfremdeten Gebäudes

 

Beckum. In diesen Tagen fällt auf der Nordstraße ein Gebäude der Spitzhacke zum Opfer, von dem nur wenige noch wissen, welchem Zweck es über viele Jahrzehnte gedient hatte.  Das hässliche und verfallene Haus beherbergte in den letzten 20 Jahren in unzulänglichen Quartieren zahlreiche Familien und diente vorübergehend als Notunterkunft der provisorischen Einrichtung einiger Behörden und Dienststellen. Im Jahre 1867 gebaut, war es bis zu den verhängniss-vollen Jahren der Judenverfolgung als Synagoge, Schulhaus und Versammlungsstätte Eigentum der kleinen jüdischen Gemeinde, die sich vor genau hundert Jahren in diesem schlichten Gebäude häuslich einrichtete.

 

Von der Geschichte der jüdischen Gemeinde in Beckum ist nur wenig bekannt.  Im Festbuch, das zur 700-Jahr-Feier der Stadt Beckum 1924 erschienen war, schrieb Lehrer Raphael, dass im Jahre 1699 nach den vorhandenen Urkunden nur dreivergeldeteJuden, also solche die freies Geleit genossen, in Beckum lebten.  Ihre alten Schutzrechte wurden ihnen vom Landesherrn, dem Fürstbischof von Münster, stets erneuert.  Sie lebten in Beckum, wie im übrigen Münsterland, mit den übrigen Einwohnern friedlich zusammen.

 

Erst seit der Mitte des 18. Jahrhunderts konnte von einer eigentlichen jüdischen Gemeinde in Beckum die Rede sein.  1743 waren sechs jüdische Familien ansässig und wurde ihr erstes Gotteshaus vollendet.  Es stand auf eben dem Grundstück auf dem 1967 die neue Synagoge errichtet wurde und das jetz wiederum Baustelle wird, nämlich für das neue Café-Restaurant Tenkhoff, dessen derzeitiges Eckhaus am Markt nach Ankauf durch die Stadt abgerissen werden soll.

 

1767 wohnten in Beckum acht jüdische Fmilien und wird in Protokollen zum erstenmal der Name Windmüller genannt.  Alle anderen jüdischen Familien durften damals noch keinen Familiennamen führen.  Erst nach 1800 entwickelte sich für die Juden ein eigenes Gemeinschaftsleben.  Der erste obligatorische Religionsunterricht wurde erteilt.  Nach dem Zusammenbruch der napoleonischen Herrschaft wurden die Juden gleichberechtigte Bürger.  1821 konnten sie Familiennamen annehmen.  Die erste jüdische Schule in Beckum wurde nach 1830 eingerichtet.  Die Zahl der jüdischen Bürger stieg von 79 im Jahre 1828 auf 87 im Jahre 1835.

 

Der Klassenraum befand sich in der alten Synagoge, in der auch die Dienstwohnung des Lehrers zu finden war.  Wie Lehrer Raphael 1924 mitteilte, war 1863 bei einer Schulrevision der Plan einer baulichen Veränderung des jüdischen Gemeindehauses erwogen worden.  Erst als die jüdischen Gemeinden Lippborg, Herzfeld und Liesborn der jüdischen Gemeinde in Beckum angeschlossen wurden, kam es 1967 zu dem Neubau auf der Nordstrasse.  Von 1878 bis 1897 übte Lehrer Ostermann das Amt des Erziehers für die jüdischen Kinder aus.  Von 1911 bis 1919 war mit der Vereidigung des jüdischen Lehrers diese Schule eine öffentliche, um alsdann als Privatschule weitergeführt zu werden.  1924 zählte die jüdische Gemeinde in Beckum über 104 Frauen, Männer und Kinder.  Die Zahl der in Beckum wohnenden Juden erhöhte sich fortlaufend, bevor im Zweiten Weltkrieg sämtliche hier ansässige Juden, soweit sie nicht schon vorher geflüchtet oder deportiert waren, der Gewaltherrschaft und dem Terror zum Opfer fielen.

 

So mahnen die Steine, die in diesen Tagen fortgetragen werden, an viele unschuldige Opfer eines grauenvollen Regimes und einer entsetzlichen Zeit.  Sie erinnern aber auch an angesehene und ehrenwerte Bürger der jüdischen Gemeinde, die sich in Beckum nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wieder sammeln konnte.

 

[Unter Bild]  Das sind die Reste der ehemaligen Beckumer Synagoge an der Nordstrasse, die seit Dienstag abgebrochen wird, um einem modernen Caféhaus-Neubau Platz zu machen, den Frau Tenkhoff an dieser Stelle errichten wird.  Das alte Haus diente bis zur so genannten “Kristallnacht”, als auch hier die Scheiben klirrten,  als Synagoge der jüdischen Gemeinde.  Dann war es Wohnhaus und Verwaltungsgebäude der Gewerkschaften.